Wir haben uns also mitten in Örebro im Garten einer Krankengymnastin getroffen... eigentlich wolte ich ja, dass das Ganze bei uns stattfindet, aber die Regierung hatte mit sofortiger Scheidung gedroht, wenn wir so etwas im Haus veranstalten; im Garten durften wir. Und da bei Scheidungen die Häuser draufzugehen pflegen und ich nun schon so viel Arbeit in dieses Haus reingesteckt hatte, beschloss ich, nachzugeben...
Woraufhin besagte Krankengymnastin beteuerte, bei ihr sei das ganze kein Problem. Wir könnten auch ruhig drinnen sitzen (man vermutet hier bereits, dass sie aus Norrland kommt...). Das hat sie dann ihrem Sambo zwei Tage vorher nebenbei mitgeteilt... naja, und da sie schwanger ist, und es bei Trennungen immer Schwierigkeiten mit den Kindern zu geben pflegt, hat sie dann auch nachgegeben...
Der Sambo kommt uebrigens nicht aus Norrland.
Wir sassen also in jedem Fall draussen.
Zufällig war der vereinbarte Termin ein Tag, an dem ein superwichtiges Fussballspiel lief, das besagter Sambo auf gar keinen Fall verpassen durfte... er entwich also direkt nach den Begruessungen zu einem Freund...

Nun waren also noch zwei hartgesottene Surströmmingfans anwesend, zweieinhalb Kinder (meine beiden Kleinen und eben das der Krankengymnasten), drei erwachsene Deutsche (meine Frau, ihre Cousine, die gerade bei uns zu Gast ist und an unserer Klinik ein Praktikum macht und ich) und fuenf Schwed(inn)en beiderlei Geschlechts. Eine weitere vormals interessierte Arbeitskameradin musste just an dem Abend tapezieren, und eine andere Tango tanzen...

Die Kusine meiner Frau hatte dankenswerterweise die deutsche Wikipediaseite
http://de.wikipedia.org/wiki/Surstr%C3%B6mming
zum Thema gefunden... die dort gefundenen Informationen trugen in einer auch ein bisschen angenehmen Weise dazu bei, die vorher sich bereits andeutende Spannung geringfuegig zu erhöhen.
Nachdem ich also noch schnell wählen gegangen war (wer weiss, ob das am Sonntag noch möglich ist?), meine Patienten an meinen Kollegen rapportiert und sie seiner guten Behandlung anempfohlen hatte, mich bei allen Mitarbeitern der Klinik fuer die gute Zusammenarbeit bedankt hatte, einer Schwester, mit der ich ab und an aneinandergeraten war, die ich aber dennoch sehr schätze, eben diese Hochachtung mitgeteilt und vor Zeugen verkuendet hatte, dass ich wollte, dass meine Frau unser Haus erbt, haben wir uns also auf den Weg zu dem Haus besagter Kollegin gemacht. Auch wenn sich vor meinem inneren Auge Szenen wie "Matthias öffnet die Konserve... ein bestialischer Gestank breitet sich aus... meine Kinder fangen verzweifelt an zu weinen..." abspielten, so war ich fest entschlossen, die bisher meisterhaft zur Schau getragene Maske der Gelassenheit um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Immerhin hatte ich meine Angelegenheiten geordnet und war bereit, auch unter Einsatz meines Lebens meine Frau und Kinder eventuell aus der Vergasungszone zu retten.

Vor Ort bot sich das typische Bild der Ruhe vor dem Sturm: im Garten war ein Tisch gedeckt, und auch wenn die Kollegin zugesehen hatte, bei sich alle Fenster zu schliessen, so hatten doch Nachbarn durchaus noch offene Fenster... das allerdings wuerde sich, das war uns Neulingen völlig klar, nach öffnen der sechs Konserven ändern, die bereits drohend auf dem Tisch bereitlagen und aussahen, als wuerden sie jederzeit explodieren. Denn war es nicht so, dass der Transport von Surströmmingdosen in Flugzeugen der Air France und BA wegen ebendieser Explosionsgefahr verboten war?

Konsequenterweise hielten wir nicht-Nordlänningar etwas Abstand von Mathias, als er die Dose merkwuerdigerweise ohne schweren Atemschutz zu öffnen begann... das öffnen unter Wasser oder gar das Abspuelen der Fische hatte er vorher kategorisch als unwuerdig abgelehnt.

Gräddfil und Tomaten wurden uns neben den obligatorischen Zwiebeln, Kartoffeln und Tunnbröd allerdings genehmigt, allerdings mit dem Hinweis, dass das den Geschmack abmildern und vielleicht ganz verderben wuerde....

Merkwuerdigerweise schien er nicht sehr beeindruckt von den entströmenden Gasen, sondern liess Laute erklingen, die ueblicherweise mit Wohlgefallen assoziiert werden (Hmmmmm!)... auch seine Gesichtsfarbe schien sich nicht wesentlich zu verändern... so wagten wir uns denn schrittweise näher.
Ich kann hier erwähnen, dass das bekannte "The germans to the front" auch hier Anwendung fand... vor allem besagte Kusine wagte auf hasardöse Weise ihr Leben und nahm den Platz direkt neben Matthias (und den geöffneten Dosen) ein, während wir anderen uns in etwas angemessenerem Abstand niederliessen.

Der Geruch blieb aus unerfindlichen Gruenden hinter den Erwartungen zurueck, er war eigentlich eine Enttäuschung... auch wurden keine Fenster zugeschlagen, niemand starb, die Feuerwehr wurde nicht alarmiert, die Nachbarn sammelten sich nicht an den geschlossenen Fenstern um dem verzweifelten Ueberlebenskampf zuzuschauen oder den Helden der Lukulle Beifall zu spenden... genauer gesagt, hatte der Fisch einen leichten Beigeschmack, war ansonsten aber in erster Linie salzig.

Noch zu erwähnen wäre, dass eine der beiden Arbeitskameraden (die Tänzerin) etwas später eintraf und ebenfalls surströmming ass, während die (die Tapeziererin) andere es irgendwie schaffte, noch später zu erscheinen, jedoch dankend ablehnte, dass Christianes Kusine drei, ich selber zwei und meine Frau einen Fisch verspeisten und Linus (1,5 Jahre) ein Fitzelchen schluckte und danach den Kopf schuettelte (was bei ihm zumeist heisst, dass er nicht mehr davon haben will). Dass meine Tochter sich weigerte, sich von mir einen Pullover anziehen zu lassen, nachdem ich von dem Fisch gegessen hatte ("Papa, nimm die Hände weg, die stinken nach Fisch!") und dabei unabsichtlich verriet, dass sie viel mehr schwedisch spricht, als wir gedacht haben. Dass meine Frau mir heute morgen mitteilte, dass sie unter keinen Umständen mehr bereit ist, jemals wieder davon zu essen und dass sie auf ihre Nase hätte hören sollen, die eindeutig davon abgeraten hatte, diesen Fisch zu essen.

Dass aber alle Mitarbeiter heute wieder lebendig in der Klinik aufgetaucht sind. Es sind also keine Ausfälle zu beklagen. Ich habe meine Patienten wieder von meinem Kollegen uebernommen.

Bleibt mir nur noch zu rapportieren, dass die Klassifizierung von Surströmming als Massenvernichtungsmittel offiziell aufgehoben worden ist. Eine Neuklassifizierung als zum Verzehr geeignete Materie wird in Erwägung gezogen.
Eventuelle Sanktionen der Vereinten Nationen gegen das Königreich Schweden wegen des Vorhalten von Massenvernichtungswaffen, die auf der Existenz von surströmming im Lande beruhen, können also mit sofortiger Wirkung aufgehoben werden.

size: 7171, last revised: 2006-09-14 22:53 surstromming.html